DIE ZUKUNFT DER DESIGNAUSBILDUNG
DISKUTIERT IN VIER STATIONEN
Wie sollte die Designlehre gestaltet sein, damit sie ihren Absolventen zu einer erfolgreichen Zukunft verhilft? Inwieweit ist die gegenwärtige Ausbildung noch zeitgemäß – oder muss eine vollständig neue Richtung eingeschlagen werden? Wenn es morgen eine neue Designhochschule gäbe, die aus dem Vollen schöpfen könnte ohne auf ältere Strukturen Rücksicht nehmen zu müssen, welche Inhalte und mit welchen Methoden würden dort gelehrt werden?
Zwischen März 2019 und Februar 2020 veranstaltete die iF Design Foundation vier mehrtägige Konferenzen bzw. Hearings. Sie widmeten sich der Frage, wie die künftige Designlehre bzw. Designausbildung gestaltet sein muss.
In Gmund (Deutschland), Pasadena (USA), Kyoto (Japan) und Johannesburg (Südafrika) beschäftigten sich Expertinnen und Experten aus den unterschiedlichsten Bereichen mit den vorgegebenen Fragestellungen – von Studierenden bis zu Lehrenden verschiedener Fachrichtungen, von Newcomern bis zu erfahrenen Designmanagerinnen und -managern, von Akteurinnen und Akteuren aus der Wirtschaft bis zu Protagonistinnen und Protagonisten der Forschung.
Als Inspiration und Leitfaden für die Konferenzen diente ein 80 verschiedenste Fragen umfassender Katalog. Dieser basiert auf einer von Prof. Dr. René Spitz durchgeführten internationalen Studie aus dem Jahr 2016.
Die in den vier Hearings zusammengetragenen Ergebnisse hat die iF Design Foundation im „Weißbuch zur Zukunft der Designlehre – Designing Design Education“ , Erscheinungstermin März 2021, veröffentlicht.
HEARING IN GMUND AM TEGERNSEE, DEUTSCHLAND
Das Hearing fand vom 13. bis 15. März 2019 als Teil der Munich Creative Business Week (MCBW) statt. Zum ersten Hearing im bayrischen Gmund am Tegernsee waren 30 Personen aus dem deutschsprachigen Raum dazu eingeladen, ihre Beurteilungen und Erfahrungen auszutauschen. Dabei handelte es sich um eine Mischung von Akteurinnen und Akteuren aus Wirtschaft, Lehre und Forschung.
Worüber wurde diskutiert?
Die eingeladenen Expertinnen und Experten sind sich darin einig, dass sich die Berufspraxis im Design in Zukunft substanziell von der herkömmlichen Praxis unterscheiden wird. Die Veränderung betrifft nicht die Grundlage der designerischen Praxis. Dazu zählen Einstellungen und Haltungen (z.B. Übernahme von gesellschaftlicher Verantwortung, kritische Reflexion) sowie Werte und Ziele (z.B. Humanität, Diversität, Nachhaltigkeit, Kreativität, Interdisziplinarität bzw. Transdisziplinarität, Streben nach Verbesserung, Förderung der Persönlichkeitsbildung, Umgang mit zunehmender Ungewissheit und Komplexität). All diese Elemente zählen zum Ethos des Designs, seit sich diese Praxis vor 150 Jahren in den westlichen Industriegesellschaften etabliert hat. Im Übrigen teilt das Design dieses mit allen anderen wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Praxen.
Ganz anders verhält es sich bei den konkreten Ausprägungen der designerischen Praxis. Hier haben die Veränderungen schon längst die Konsequenzen für den beruflichen Alltag erfasst. Die Digitalisierung stellt den zentralen Antriebsfaktor für die umfassende Veränderung dar. Dieser Wandel wird in naher Zukunft noch erheblich stärker ausfallen. Er betrifft insbesondere das spezifische Wissen und Können, das für die erfolgreiche Ausübung der Berufstätigkeit notwendig sein wird. An diesem Punkt wurden die Diskussionen der Hearing-Teilnehmer vertieft geführt, da hier unterschiedliche Standpunkte zum Ausdruck gebracht wurden.
So ging es beispielweise darum, welche analogen, handwerklichen im Gegensatz zu digitalen Grundlagen zu Beginn des Studiums vermittelt werden sollen. Dabei wurde auf die Gefahr der Überfrachtung des Studiums hingewiesen, wenn Designerinnen und Designer .B. klassische Produktionstechniken kennen oder sogar beherrschen müssen und gleichzeitig auch programmieren lernen sollen. Auch die Anteile von Designtheorie und -geschichte oder auch Naturwissenschaften wurden abgewogen. Muss Design (re)-politisiert werden und welche sozialen und kommunikativen Kompetenzen sind z.B. für die interkulturelle Zusammenarbeit notwendig? Wie können das Ansehen und die Komplexität von Design in Wirtschaft und Gesellschaft verbessert werden? – waren Fragen, die diskursiv erörtert wurden.
Einigkeit herrscht bei der Beschreibung der designerischen Praxis als Zusammenwirken von Denken und Entwerfen; als Integration von mentalen und körperlichen, iterativen Entwicklungsprozessen. Das Sprachbild von der »denkenden Hand« erscheint hierfür treffend. Damit wird an den internationalen Diskurs angeknüpft, der unter dem Titel »thinking with hands« geführt wird und dessen Wurzeln sich bis auf die kunsttheoretischen Ideen in der Renaissance rund um den Begriff »disegno« zurück verfolgen lassen. Für die Praxis im Design ist danach die frühzeitige Hervorbringung von gestalterischem Anschauungsmaterial bzw. Prototypen, z.B. in der Form von Skizzen, Experimenten oder Modellen, kennzeichnend. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer schlagen dafür den Begriff der »Visionierung« vor.
Das Resümee der Konferenz finden Sie hier zum Download.
HEARING IN PASADENA, USA
17. bis 19. Oktober 2019, in Kooperation mit dem ArtCenter College of Design
Das zweite Hearing der iF Design Foundation wurde in Kooperation mit dem ArtCenter College of Design im kalifornischen Pasadena östlich von Los Angeles durchgeführt. Bei den 30 Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus den USA und Europa wurde großer Wert auf eine möglichst breite Diversität gelegt. Zu den Gästen zählten neben weiblichen und männlichen Angehörigen verschiedener Designhochschulen auch Senior und Junior Designerinnen und Designer sowie Designmanagerinnen und -manager z.B. von Amazon, Google und IBM.
Worüber wurde diskutiert?
Die Diskussionen in Pasadena drehten sich um signifikant unterschiedliche Themenschwerpunkte, verglichen mit dem ersten Hearing im bayerischen Gmund am Tegernsee. So standen in Kalifornien zuerst Fragen der Struktur und Organisation der Designlehre im Vordergrund. Dies ist als Spiegel des Bildungssystems in den USA zu sehen, weil universitäre Bildung dort im Wesentlichen nicht als gemeinschaftliche Aufgabe einer Gesellschaft gesehen wird, sondern als private Angelegenheit. Gute und beste Qualifikationen in Hochschulen sind deshalb meist an hohe Studiengebühren gekoppelt. Dadurch ist der Zugang vieler Personengruppen zum Designstudium strukturell erschwert.
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Hearings entwickelten alternative Organisationsformen für Designhochschulen, die gewährleisten sollen, dass genau diejenigen Talente, die von den Hochschulen gesucht und gebraucht werden, auch ihren Weg dorthin finden können. Dazu zählten auch Überlegungen, die Digitalisierung des Bildungswesens als Potenzial für die Diversifizierung der Studierenden zu nutzen.
Ein zweiter Schwerpunkt, der in dieser Breite und Tiefe in Deutschland nicht zur Sprache kam, ist der Impuls von Big Data und Künstlicher Intelligenz (KI). Es war für alle Expertinnen und Experten offensichtlich, dass dadurch die Designpraxis bereits substanziell verändert ist und sich weiter verändern wird. Über die ethische Bewertung der Folgen dieser Entwicklung entstand eine breite Diskussion. Damit ging der Austausch unterschiedlicher Positionen zur Frage einher, welche Konsequenzen sich daraus für die Designlehre ergeben. Während Kritiker des Einsatzes von KI dem Transfer in die Designhochschulen skeptisch gegenüber standen, plädierten Befürworter für eine tiefgreifende Anpassung der Designlehre an den Status Quo in der digitalisierten Wirtschaft.
Statements
Sheppard Nasahn, Head of Global Customer Experience Design, Amazon
Andrea Ruggiero, Persons School of Design | New York
Mariana Prieto, Innovation Leader, Wildlife Conservation, Former IDEO.org | Los Angeles
HEARING IN KYOTO, JAPAN
28. bis 30. November 2019, in Kooperation mit dem Kyoto Institute of Technology (KIT)
Die 30 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Japan, Singapur und Europa repräsentierten ein breites Spektrum der verschiedenen Anteile aus der Designpraxis: kleinere Studios und große Unternehmen (z.B. Sony, Canon, Yamaha, Hitachi), Hochschulen und Forschungseinrichtungen, Managerinnen Manager und Selbständige, Berufserfahrene und Berufsanfängerinnen und -anfänger sowie unterschiedliche Disziplinen neben den traditionellen Designfeldern (Wirtschafts- und Ingenieurwesen, Mode, Kunst, Ethnologie).
Worüber wurde diskutiert?
Die Diskussionen in Kyoto drehten sich um deutlich andere Themenschwerpunkte, verglichen mit den beiden ersten Hearings im bayerischen Gmund am Tegernsee und im kalifornischen Pasadena.
Ein Teil der Diskussionen thematisierte die Praxis von Design als ästhetisches Ausdrucksfeld für das, was heute gebraucht wird. Dazu wurde auch die moralische Dimension gezählt, einerseits mit der kulturellen Tradition angemessen umzugehen und andererseits für künftige Generationen verantwortungsvoll zu handeln. Der Platz von Design wurde im Spannungsfeld von Kunst, Handwerk, Industrie und post-industrieller, digitaler Produktion von Gerätschaften und Botschaften definiert. Im Zentrum dieser Debatte steht der japanische Begriff »Kogei«, der nur unzureichend mit Kunsthandwerk oder folk art übersetzt werden könnte. Hierbei wird an Design der Anspruch gerichtet, die Erfahrungen und »Weisheit« der Generationen, die in traditionellen Gütern des täglichen Gebrauchs gespeichert sind, behutsam in die Zukunft zu überführen.
Ein weiterer Teil der Gespräche betraf die unterschiedlichen Kontexte, mit denen das Design vielfältig verwoben ist. Diese Kontexte sind gleichzeitig Veränderungen mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten und Intensitäten unterworfen. Das gilt z.B. für die Anspruchsgruppen in Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft. Es gilt auch für örtliche Dimension, also lokale, nationale und internationale Zusammenhänge. Nicht zuletzt betrifft es die Rollen, die den Designerinnen und Designern von außen zugeschrieben werden und die sie für sich selbst entwerfen: als Spezialistinnen und Spezialisten oder Generalistinnen und Generalisten, als avantgardistische Visionäre und Visionärinnen oder pragmatische Übersetzerinnen und Übersetzer bei der Entwicklung sinnvoller und wertvoller Angebote.
Statements
Prof. Daljiro Mizuno
Kyoto Institute of Technology Design Researcher
Dr. Mitsuhiko Nagata
Nagata Office
Dr. Henriette Comet
Principal Investigator TUMCREATE LTD Singapore
Tomohiko Hirata,
CEO Ziba Tokyo
Asami Sasaki
Softdevice Inc.
Feilang Tseng
ROOTS Company
Yoshifumi Ishikawa
Advisory Director
Senior General Manager Canon Design Center
Prof. Sushi Suzuki
Kyoto Institute of Technology
Hearing in Johannesburg, Südafrika
23. bis 25. Februar 2020, in Kooperation mit dem Greenside Design Center
Die 26 Teilnehmerinnen und Teilnehmer wirken derzeit in 11 Staaten (Libanon, Nigeria, Ghana, Südafrika, Nigeria, Namibia, Botswana, Kenia, Zimbabwe, Dubai sowie Indien). Sie repräsentieren Designpraxis als angestellte und selbständige Designer, Lehre und Theorie in Hochschulen, Vernetzung und Planung in staatlichen Behörden und Berufsverbänden sowie Management und Beratung. Die fürs Design charakteristische interdisziplinäre Zusammenarbeit zeigt sich an den verschiedenen Tätigkeitsfeldern der Expertinnen und Experten – von Wirtschaft und Verwaltung über Organisationsentwicklung und Social Entrepreneurship bis zu Design mit den Schwerpunkten Kommunikation, Produkt, Textil, UX und Interior.
Worüber wurde diskutiert?
Im Vergleich zu den vorigen Hearings in Gmund am Tegernsee, Pasadena (USA) und Kyoto (Japan) lag ein besonderer Themenschwerpunkt auf dem Verhältnis von Design zur Gemeinschaft. Dabei spielt u.a. die Beziehung des Designs zu traditionellen Praktiken in afrikanischen und indischen Kulturen eine wichtige Rolle. Design wird vielfach als Folge der Kolonialisierung durch westliche Industriegesellschaften wahrgenommen, in deren Mittelpunkt das Individuum als autonomes Subjekt einer versachlichten Gesellschaft steht.
Demgegenüber wird in afrikanischen und indischen Kulturen oftmals eine höhere Rolle der Gemeinschaft und der Natur als materielle und spirituelle Lebensgrundlage dargestellt. Dieser Hinweis erschien insbesondere unter der Perspektive anregend, dass gegenwärtig in der internationalen Debatte Aspekte wie Nachhaltigkeit und Kooperation eine herausragende Aufmerksamkeit erhalten. So wurde darüber diskutiert, inwiefern der westlich dominierte Designdiskurs für die zukünftige Entwicklung von solchen Traditionen lernen kann.
Einen zweiten Schwerpunkt bildete die Diskussion über afrikanische kulturelle Konzepte wie das sogenannte innere Auge: händischen Ausführung und Sichtbarmachung eines Entwurfs muss die innere Vorstellung vorausgehen, wobei sich diese Fertigkeit auf jene Fähigkeit stützt. Zudem ging es um die sogenannte Weisheit traditioneller, anonymer Artefakte in Abgrenzung zur unbestrittenen Dummheit vieler industrieller Produkte.
Statements
Dr. Mugendi K. M’Rithaa
Saki Mafundikwa
Dr. Vikki Du Preez
Sam Nii Adjaidoo
Chrissa Amuha
Marcel Rossouw
Conrad Gonsalves
Sanotsh Kshirsagar
Felix Ofori Dartey
Robin Turner
Slyanda Mbele
Angus Donald Campbell
Desmond Laubscher
Juliet Kavishe
Alex Simm
Onica Lekuntwane
Peter Ekanem