Die diesjährige munich creative business week fand vom 6.–14. Mai unter dem Motto „Why disruption unleashes creativity“ statt. Annette Diefenthaler moderierte das Gesprächsformat mcbw talk&connect mit Sep Verboom, Sascha Friesike und Leyla Acaroglu, die die Keynote zu disruptivem Design hielt.
Unsere Welt befindet sich in einem Zustand der Disruption. Altbewährtes wird auf den Kopf gestellt und muss hinterfragt werden. Doch die stärksten Umbrüche haben immer auch die Chance geboten, dass etwas Neues entsteht. Die Bausteine der Gegenwart und der Zukunft müssen anders gedacht und neu arrangiert werden. Dafür braucht es Mut und Menschen, die sich trauen, ihren Blickwinkel zu ändern und die Situation als Herausforderung und nicht als Überforderung zu begreifen. Design als disruptive und zugleich bewahrende Kraft nimmt bei der Auseinandersetzung mit den großen Transformationsthemen unserer Zeit eine bedeutende Rolle ein. Insofern passte das Jahresmotto der munich creative business week 2023 „Why disruption unleashes creativity“ perfekt in die Zeit: Es stellte das Verhältnis von Umbruch und Kreativität ins Zentrum der Events und Diskussionen. Die mcbw 2023 bot Gestalter:innen aus Design und Architektur, Unternehmen und der interessierten Öffentlichkeit eine Woche lang vielfältige Möglichkeiten, sich zu diesen Themen auszutauschen und Impulse zu sammeln, mit Veranstaltungen, Ausstellungen, Vorträgen und Initiativen in ganz München. Die Nachhaltigkeitsprovokateurin und Kulturprotagonistin Dr. Leyla Acaroglu, Gründerin der The UnSchool of Disruptive Design übernahm dabei die neu geschaffene Rolle des „Creative Explorers“. Als international anerkannte Expertin auf dem Gebiet disruptiver Designmethoden setzt sie Denkimpulse und unterstreicht die Relevanz von Design und Kreativität.
Ein Highlight der mcbw 2023: Das talk&connect am 8.Mai im Munich Urban Colab, moderiert von Annette Diefenthaler
Kann Disruption Kreativität freisetzen? Diese Frage stellte Annette Diefenthaler, Professorin für Design und Transdisziplinarität an der TUM und Vorstandmitglied der iFDF, ins Zentrum des von ihr moderierten mcbw-Talkformats mit international renommierten Referent:innen. Wie gehen wir Menschen mit einschneidenden Veränderungen um, wie entsteht Neues aus den vergangenen und aktuellen Umwälzungen in unserer Gesellschaft – und welche Rolle übernimmt hier die Gestaltung? Der Nachmittag und Abend des 8.Mai war gefüllt mit Statements aus dem mcbw Beirat zum Jahresthema, gefolgt von Keynotes von Professor Dr. Sascha Friesike und Sep Verboom, bevor Leyla Acaroglu als diesjähriger Creative Explorer aufzeigte, wie Design den gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und nachhaltigen Wandel zum Positiven vorantreibt. Einen weiteren Deep Dive in das Jahresmotto gab es anschließend in einer Podiumsdiskussion mit den drei Keynote Speakern und der Moderatorin Annette Diefenthaler. Dabei zeigte sich das Panel als perfekt mit komplementären Perspektiven besetzt: Drei sehr kluge Beiträge aus drei unterschiedlichen Standpunkten dienten als Ausganspunkte eines facettenreichen Diskurses.
Der Begriff der Disruption, heute oft als Marketinglabel aufgeklebt, wird nuanciert und in seiner gesamten Tragweite betrachtet
Dr. Sascha Friesike eröffnete mit seiner Keynote die Veranstaltung. Der Professor für „Designing Digital Innovations“ an der Universität der Künste Berlin leitet dort den berufsbegleitenden Masterstudiengang „Leadership in digital Innovation“. Er ist zudem Co-Leiter des Weizenbaum-Instituts für die vernetzte Gesellschaft, in dem rund 150 Forscher daran arbeiten, die Dynamiken, Mechanismen und Auswirkungen der Digitalisierung zu verstehen. Als akademischer Forscher untersucht er die Beziehung zwischen Wissenschaft und Gesellschaft und erforscht, wie neue Dinge in verschiedenen Umgebungen entstehen, von der Schaffung wissenschaftlicher Erkenntnisse bis hin zu Innovation und Kreativität. Sascha Friesike liegt es am Herzen, die Wissenschaft und die Klarheit, die sie schaffen kann, zugänglicher zu machen. Anstatt dass brillante Erkenntnisse in Artikeln stecken bleiben, die nur wenige lesen, möchte er, dass wir einen gesellschaftlichen Dialog führen. Aus diesem Grund moderiert er in Zusammenarbeit mit dem Berliner rbb die sozialwissenschaftliche Sendung „Ding an sich“. In seiner Keynote anlässlich der mcbw beleuchtete er die Terminologie und den Begriff des „Disruptive Design“ nuanicert. Er erläuterte verschiedene Arten einer Disruption und stellte dar, dass es häufig schwierig ist, zu erkennen mit welcher Art der Disruption wir es im Moment zu tun haben. „Wir brauchen skeptische Neugier, um verstehen zu können, welche Art von Disruption gerade passiert“ – nur so sei eine adäquate kreative Reaktion möglich.
Subtile Eingriffe könnten sich im Laufe der Zeit als radikal erweisen: Ein Aufruf an Kreative, an der Gestaltung des Kontexts und nicht nur des Ergebnisses zu arbeiten
Die zweite Keynote des talk&connect kam von Sep Verboom, „einem außergewöhnlichen Designer sowie sozialen Unternehmer,“ wie Annette Diefenthaler ihn vorstellte. „Er praktiziert, was heutzutage viele Designer anstreben: Bei seiner Arbeit geht es weniger darum, die Objektivierung eines Endergebnisses zu entwerfen, sondern vielmehr um die Gestaltung des Kontexts, in dem Design stattfindet. Dabei stellt er das Wohlergehen der Menschen und die Gesundheit unserer Umwelt in den Mittelpunkt.“ Er ist Dozent für Sustainable Design an der K.A.S.K. School Of Arts in Gent und erforscht aktiv das Gleichgewicht zwischen wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Aspekten des Designs. Zu diesem Zweck hat er die Livable® Platform geschaffen, auf der er Partner zusammenbringt, die so unterschiedlich sind wie ihre Regionen: vom peruanischen Amazonas bis Indonesien und von lokalen Regierungen oder Handelsunternehmen bis hin zu NGOs. Aber hinter seiner Plattform steht kein großes Team oder Unternehmen, wie oft angenommen wird. Vielmehr stellt Sep Verboom spezifische Teams zusammen, die je nach den Anforderungen jedes Projekts Fachleute vereinen. In seiner Biografie heißt es: „Er ist skeptisch gegenüber Komplettlösungen und strebt nach einem maßgeschneiderten Ansatz für jede kulturelle und gesellschaftliche Herausforderung.“ In seiner Keynote präsentierte Sep Beispiele für Kooperationen, bei denen Designer:innen die Rolle übernehmen, einen solchen Kontext zu gestalten, anstatt sich nur auf das Ergebnis des Designs zu konzentrieren. Seine Arbeit zeigt, dass sich subtile Veränderungen oft erst im Laufe der Zeit fundamental auswirken. Sep Verboom plädierte für ein Framework, das nicht ökonomischen, sondern auch sozialen und ökologischen Profit einkalkuliert.
Wie beeinflussen unsere Tätigkeiten heute unser Leben von morgen? Designerinnen und Designer als kulturelle Provokateure, die die Möglichkeit haben, Veränderungen zu bewirken
Den Abschluss und Höhepunkt bildete der Vortrag von Dr. Leyla Acaroglu: Die Designerin und Sozialwissenschaftlerin, Unternehmerin und Gründerin ist außerdem eine Nachhaltigkeits-Provokateurin, Design-Disruptorin und kreative Grenzgängerin. Als Sozialunternehmerin ist Leyla Gründerin der Kreativagentur Disrupt Design und Entwicklerin der Disruptive Design Method. Sie ist Gründerin des preisgekrönten experimentellen Wissenslabors The UnSchool of Disruptive Design und der Schulungsplattform für Unternehmensnachhaltigkeit, Swivel Skills. Für ihre Arbeit zur Förderung von Wissenschaft und Innovation im Bereich Nachhaltigkeit wurde Leyla Acaroglu vom Umweltprogramm der Vereinten Nationen mit der Auszeichnung „Champion of the Earth 2016“ ausgezeichnet. Sie hat auf der ganzen Welt Keynote-Vorträge zu Themen gehalten, die von der Neugestaltung von Systemen über die Ethik der Technologie bis hin zur Macht des disruptiven Wandels reichen.
In ihrer mitreißenden Keynote stellte Leyla die Dringlichkeit kreativen Handelns angesichts der wachsenden Herausforderungen an die Menschheit, insbesondere durch den Klimawandel, dar. Sie sieht Disruption als die Aufgabe von Designer:innen und betonte die Wichtigkeit, sich der eigenen Handlungsfreiheit bewusst zu werden: „Kreativität ist eine Art von Hoffnung“, und Gestalter:innen können und müssen sich aktiv dafür entscheiden, bestehende Systeme zu verändern.
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