November 2021

Ein Design Campus in Schloss und Park Pillnitz: Wenn ein Museum Schule macht

Das Kunstgewerbemuseum Dresden kehrt mit dem Design Campus fast 150 Jahre nach seiner Gründung zu seinen Wurzeln als Lehr- und Bildungseinrichtung zurück.

Damals eine Reaktion auf die Umwälzungen der Industrialisierung, wird das Gründungskonzept vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Transformation durch Digitalisierung und Klimawandel für das 21. Jahrhundert neu kalibriert und in die Zukunft gedacht – als ein Ort und Schule für Utopien.

Ein Gastbeitrag von Thomas A. Geisler, Direktor des Kunstgewerbemuseums

Wer Dresden besucht, kennt natürlich den Zwinger mit der Meissener Porzellansammlung, das Grüne Gewölbe als Kunst- und Schatzkammer, die Alten Meister mit der Raffael-Madonna, die Semper-Oper und die wiederaufgebaute Frauenkirche. Ein Abstecher nach Schloss und Park Pillnitz rund zehn Kilometer Elbe aufwärts, am „Blauen Wunder“ vorbei – ein imposanter Brückenbau in früher Stahlbaukonstruktion inmitten der Idylle, ist für Wochenendgäste schon eine Zusatzattraktion. Dann empfiehlt sich allerdings die Fahrt mit einem der Raddampfer entlang der Elbauen, -brücken und -schlösser, um zu sehen was einst die Romantiker und Zeitgenossen rund um Caspar David Friedrich landschaftlich begeisterte und zu Beginn des 20. Jahrhunderts für die Künstlergruppe „Die Brücke“ namensgebend wurde. Die vor 300 Jahren vom legendären sächsischen Kurfürsten und polnisch-litauischen König August dem Starken als Lust- und Spielschloss erdachte Anlage in Pillnitz zählt heute zu Europas größten Baudenkmälern im Stil der Chinoiserie, der damals hochpopulären China-Mode. Nach einem Besuch schwärmen viele von diesem elysischen Ort.

Genau hier fand im August 2021 die erste internationale Summer School des neu gegründeten Design Campus der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden statt. Schloss und Park boten sich schon wegen der architektonischen und landschaftsgestalterischen Voraussetzungen an, zudem ist beides bereits in einen Forschungs- und Ausbildungsstandort integriert, dem sogenannten „Grünen Forum Pillnitz“. Darunter vereinen sich Einrichtungen wie das Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie des Freistaat Sachsen, das Julius Kühn-Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen oder die Fakultät für Landbau, Umwelt und Chemie der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW). Pillnitz steht zudem für eine Jahrhunderte lange Tradition in Gartenbau und Gartenkunst. Gute Voraussetzungen also, um an diesem Ort mit den benachbarten Expertinnen und Experten Design transdisziplinär mit den großen Fragestellungen rund um den Klimawandel und einen nachhaltigen Lebensstil in die Zukunft zu denken.

Vom Kunstgewerbemuseum zum Design Campus

Motor und Ausgangspunkt des Design Campus ist das im Berg- und Wasserpalais von Schloss Pillnitz seit 1963 interimistisch untergebrachte Kunstgewerbemuseum. Es gehört neben insgesamt vierzehn Museen und diversen anderen Institutionen zu den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Der drittgrößte Museumsverbund Deutschlands, dessen Geschichte auf die Kunstkammern der sächsischen Kurfürsten seit dem 16. Jahrhundert zurückzuführen ist, umfasst heute die Moderne und Avantgarden in Kunst, Architektur und Design. Die mehrere Millionen Objekte verwaltenden Sammlungen repräsentieren eine thematische Vielfalt und einen Fundus, der in seiner Art international einzigartig ist. Das Kunstgewerbemuseum selbst wurde 1876 in der Welle der kunstgewerblichen Sammlungen nach dem Vorbild des South Kensington Museum in London (das heutige Victoria & Albert Museum) gegründet und umfasst mittlerweile über 65.000 Artefakte von der Antike über das Mittelalter bis in die Gegenwart. Gottfried Sempers Konzept eines „Idealen Museums“, nach Materialien und Techniken organisiert, gilt als Vorlage, die aus dem Geist der ersten Weltausstellung 1851 erwuchs. Das Museum wurde als Lehr- und Bildungseinrichtung für Entwerfer, Handwerker und Produzenten (meist erst nach 1900 auch für Frauen als Ausbildung zugänglich) und die Schulung des guten Geschmacks bei den Konsumentinnen und Konsumenten verstanden. Europaweit und darüber hinaus wurden Kunstgewerbeschulen samt Museen als Studiensammlungen auf staatliche Anordnung gegründet, um im Wettstreit der Industrialisierung und seiner neuen massenproduzierten Warenwelt konkurrenzfähig zu bleiben. Diese Form der staatlichen Kreativ- und Wirtschaftsförderung brachte gegen Ende des 19. Jahrhunderts einen enormen gestalterischen Boom und einen neuen Typus von Museum, das in enger Verflechtung mit Industrie, Forschung und Lehre eine noch nie dagewesene Relevanz für Gesellschaft und Alltag hatte, sowie maßgeblich die Ausbildung und das heutige Berufsbild von Designerinnen und Designer vorwegnahm. (Ein aktuelles Forschungsprojekt am Design Campus zu den Pionieren der Designausbildung vor dem Bauhaus finden Sie hier.)

Mangelnder Reformwille, aber auch der rapide technische und gesellschaftliche Wandel, sowie die Umbrüche in Politik brachten zu Beginn des 20. Jahrhunderts das einstige Erfolgsmodel von Schule und Museum im Tandem zum Scheitern. In Dresden, wo Kunstgewerbeschule und -museum 1908 noch einen programmatischen gemeinsamen Bau für Lehre und Sammlung erhielten, vollzog sich die Trennung mit Beginn des ersten Weltkriegs. Durch den Bombenangriff im Februar 1945 wurden weite Teile der Stadt zerstört, das Museum fand in der Folge und über die Ära der DDR hinweg nur vorübergehende Wirkungsstätten und Standorte. Das längste Interim währt seitdem in Pillnitz. Die Nachfolgeinstitution der Kunstgewerbeschule wollte Mart Stam mit der traditionsreichen Akademie der bildenden Künste als Direktor beider Institutionen zur „Bauschule. Staatlichen Hochschule für freie und angewandte Kunst“ vereinen, was jedoch 1950 scheiterte. In Folge wurde die Hochschule für Bildende Künste Dresden gegründet. Die Auseinandersetzung mit der wechselvollen Geschichte und dem Erbe des Museums, aber auch dem Genius Loci an seinem heutigen Standort in Schloss und Park Pillnitz, der einen Ausstellungsbetrieb nur über die Frühlings- und Sommermonate zulässt, führten mit der Berufung des Autors zum Direktor des Kunstgewerbemuseums Dresden 2019 zur Konzeption des Design Campus.

Der Design Campus versteht sich als ganzjährige Forschungs- und Entwicklungsplattform für eine zeitgemäße Weiterentwicklung der Kunstgewerbemuseen, hinsichtlich einem erweiterten transkulturellen Austausch und einer kritischen Reflexion auf die bisherigen eurozentristischen und kolonialen Perspektiven auf die eigenen Sammlungen. Neben einer 6-wöchigen Sommerschule dienen künstlerische und wissenschaftliche Forschungsresidenzen, sogenannte Labs, der Anbahnung interdisziplinärer Projekte und dem Aufbau eines internationalen Netzwerks für Kooperationen. Als Think Tank ist der Design Campus ein Projekt der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden und interagiert mit all seinen Sammlungen und Einrichtungen, von den Staatlichen Ethnografischen Sammlungen Sachsen (SES), über das Grüne Gewölbe im Residenzschloss, die Galerie Neue Meister im Albertinum und der Sammlung Schenkung Hoffmann bis hin zum Archiv der Avantgarden. Die Initiative wird vom Freistaat Sachsen und der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien unterstützt.

„Open Studio“ der Sommerschule 2021 auf dem Design Campus, Kunstgewerbemuseums der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, Foto: Oliver Killig, ©SKD

Eine Sommerschule für Design und Demokratie

Die erste Ausgabe der Summer School Class 2021 umfasste unter dem Leitthema „Design & Democracy“ ein mehrwöchiges Programm von Workshops, Projektarbeiten, Vorträgen und Diskussionsrunden. Entwickelt wurde das Programm mit den international renommierten Kuratorinnen und Designkritikerinnen Amelie Klein aus Wien und Vera Sacchetti aus Basel. Jedes Jahr werden Visionäre als „Heads of School“ eingeladen, gemeinsam mit dem Team des Design Campus eine temporäre „Schule der Utopien“ zu programmieren. Anknüpfend an die progressiven Denkschulen in Kunst, Design und Avantgarde, wie dem Black Mountain College, Global Tools und anderen experimentellen Initiativen in der Geschichte dient das utopische Denken als Werkzeug zur Gestaltung zukunftsfähiger Alternativen vor dem Hintergrund der sich abzeichnenden Krisen-Szenarien. Allen voran die Krise der Demokratie, welche aktuell unter den Herausforderungen zur Bewältigung der Corona-Pandemie offen zu Tage tritt, jedoch auf bereits tiefer liegende Brüche in der Gesellschaft zurückzuführen ist. Mehr als ein Grund also, diesem brennenden Thema den Auftakt zu widmen.

Die breit gefächerten, von internationalen Tutor:innen und Expert:innen unterschiedlicher Disziplinen geleiteten jeweils einwöchigen Workshops untersuchten die vielschichtigen Wechselwirkungen zwischen Gestaltung und Demokratie aus globaler Perspektive. So befragte beispielsweise die mexikanische Urbanistin und Aktivistin Gabriella Gomez-Mont unter dem Titel „Realists Of A Larger Reality: Cities, Political Imagination and Social Creativity“ die Mechanismen des Engagements und der Partizipation. Der niederländische Architekt und Theoretiker David Mulder van der Vegt erforschte in seinem Workshop „Power Building“ die bauliche und visuelle Manifestation von Parlamenten, Versammlungen und Machtstrukturen. Die in Katar lehrende Designforscherin und Autorin Basma Hamdy erörterte in ihrem Workshop „Future Realities: Designing New Worlds“ Formen des Aktivismus und der Protestkultur. Vivian Tauchmann aus Leipzig vermittelte in ihrer Tanzwerkstatt „Solidarity Is A Verb“ Strategien der Solidarität durch Performativität, während der aus Kanada stammende Jerszy Seymour, Designer und Mitbegründer des „Dirty Art Departments“ am Sandberg Institute in Amsterdam, in seinem Workshop „New World Propaganda“ nach einer neuen visuellen Sprache für Utopist:innen und Revolutionäre suchte. Abschließend hinterfragten Klein und Sacchetti in ihrem Workshop „Making A Deliberative Design Museum“ zusammen mit der brasilianischen Aktivistin und Mitbegründerin der feministischen Plattform „Futuress“ die demokratischen Prinzipien musealer und kuratorischer Arbeit. Ziel aller Workshops war es, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus aller Welt (3G machte es möglich!) zu kreativen Handlungsspielräumen und zur politischen Wirkkraft künstlerisch-gestalterischer Disziplinen wie Architektur, Design, Mode oder Mediengestaltung zu ermächtigen. Zudem gaben Wissenschaftler:innen und Forscher:innen in wöchentlichen Vorträgen Einblicke in die Theorie und Praxis von Design und Demokratie. Die öffentlichen Talkrunden sind auch weiterhin über den Youtube-Kanal der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden abrufbar. Die prototypischen und großteils ephemeren Workshop-Ergebnisse wurden gegen Ende jeder Woche als „Open Studio“ oder Happening öffentlich präsentiert und diskutiert. Amelie Klein und Vera Sacchetti resümierten: „Ohne Zweifel hat Design in vielfältiger Weise zum Vertrauensverlust beigetragen, dem sich die Demokratie heute gegenübersieht, angefangen bei schlecht gestalteten, unübersichtlichen Stimmzetteln bis hin zu den Echokammern, die in den sozialen Medien den Fluss von Information und damit auch die Überzeugungen von Menschen steuern. In der diesjährigen Summer School wollten wir hinterfragen und analysieren, wie es dazu kommt, und darüber hinaus Vorschläge erarbeiten und testen, wie es anders sein könnte. Es ist an der Zeit und auch unsere Pflicht, die Rolle von Design in der Demokratie und Gesellschaft neu zu denken und Alternativen zum Status quo zu entwickeln.”

Eine temporäre Designschule für wen?

Die Summer School versteht sich als Zusatzangebot zur fachlichen Vertiefung und Vernetzung für fortgeschrittene Studierende und junge Professionelle. Auf Kreativität und Diversität wird bei der Auswahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer besonderen Wert gelegt. So gibt es neben Vergünstigungen für Studierende und finanziell durch die Pandemie Benachteiligte ein „Diverse Vision Scholarship“. Im Rahmen von Kooperationen mit Hochschulen und anderen Partnern werden ebenfalls Stipendien ermöglicht. So konnten 2021 gemeinsam mit der Initiative German Design Graduates sechs Absolventinnen und Absolventen von Designhochschulen in Deutschland mit einem Freiticket teilnehmen. Eine weitere Kooperation bestand mit der Vienna Design Week. Mit dem Netzwerk des Design Campus – wie etwa der iF Design Foundation – wachsen die Möglichkeiten für weitere Stipendien und Kooperationen.

Die nächste Summer School findet von 18. Juli bis 26. August 2022 unter der Leitung des international gefeierten Designduos Formafantasma / Andrea Trimachi und Simone Faresin, Gründungsprofessoren des neuen Studiengangs „Geo Design“ an der Design Academy Eindhoven, statt.

Weitere Informationen zum Projekt, dem Programm und der Anmeldung zur Summer School Class 2022 finden Sie unter www.designcampus.org.

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