Juni 2022

Interview mit Dieter Rams – Fritz Frenkler spricht mit der deutschen Designikone über Otl Aicher und das Unternehmen Braun

Otl Aicher zählt zu den wichtigsten deutschen Gestaltern des 20. Jahrhunderts und wäre am 13. Mai 2022 100 Jahre alt geworden. Designer Dieter Rams, der im Mai seinen 90. Geburtstag feierte, ist Otl Aicher in seiner beruflichen Laufbahn beim Unternehmen Braun mehrfach persönlich begegnet.

Foto & Copyright: Fritz Frenkler, f/p design GmbH

Am 10. September 2021 trifft Fritz Frenkler, Mitbegründer der f/p design GmbH und stellvertretender Vorsitzender der iF Design Foundation, Dieter Rams in dessen Haus in Kronberg im Taunus zum Gespräch. Das Thema: Otl Aicher und das Unternehmen Braun.

Mit anwesend ist Klaus Klemp (Dieter und Ingeborg Rams-Stiftung). Anlässlich des 100. Geburtstags von Otl Aicher veröffentlichen wir nun die gekürzte Fassung des Interviews.

Fritz Frenkler (FF): Dieter, wie hast Du Otl Aicher kennengelernt und welche Erfahrungen hast Du mit ihm gemacht? Die Firma Braun und die HfG Ulm werden oft in einem Atemzug genannt. Wie oft warst du selbst in Ulm?

Dieter Rams (DR): Ich war einige Male in Ulm, meistens mit Erwin Braun. Ganz am Anfang hat mich Braun dort hingeschickt, um Hans Gugelot den Plexiglasdeckel des SK 4 vorzustellen, damit er das Design abnickte. Gugelot und ich haben uns immer gut verstanden. Wir diskutierten auch über das Holz des SK 4. Er wählte Ahorn, da er helles Holz liebte, ich war mehr für die Weißbuche, aber das waren Kleinigkeiten. Durch ihn bin ich übrigens überhaupt zu Braun gekommen. Gugelot hat wohl für mich gestimmt, als sie einen Architekten suchten. Es war ein reiner Glücksfall, dass ich bei Braun gelandet bin.

FF: Wie bist du überhaupt zum Design gekommen? Du hast doch als Architekt bei Braun angefangen?

DR: Eigentlich wollte ich Architekt bleiben, Städtebau hat mich fasziniert. Ich hatte ja auch schon zwei Jahre im Architekturbüro von Otto Apel gearbeitet. Erwin Braun suchte damals einen Architekten. Ich erhielt die Stelle, um die ich mich nur durch eine Wette mit einem Kollegen bei Apel beworben hatte. Erwin Braun zeigte mir erste Designmodelle von Hans Gugelot, die bei der Funkausstellung 1955 in Düsseldorf (Deutsche Rundfunk-, Fernseh- und Phonoausstellung 1955, 26. August bis 4. September) präsentiert werden sollten. Sie waren eigentlich noch nicht fertig, und es ging dabei eher um ein Re-Design bestehender Produkte mit vorhandener Technik.

Deutsche Rundfunk-, Fernseh- und Phonoausstellung, 26. August bis 4. September 1955

FF: Also hast du gleich mit Hans Gugelot zu tun gehabt. Und deine Bekanntschaft zu Otl Aicher, wie hat sich die entwickelt?

DR: In der Anfangszeit hat er mich gar nicht wahrgenommen. Wie auch Max Bill, der eigentliche Herrscher der frühen HfG. Für beide war ich Luft. Das konnte Max Bill sehr gut, einen nicht wahrnehmen, Otl Aicher war da subtiler. Aber auch er hat mich kaum beachtet. Von den vielen Gesprächen über Gestaltung zu meiner Anfangszeit bei Braun habe ich wenig mitbekommen, das hat man mir – bewusst oder unbewusst – vorenthalten. Aber ich habe verstanden, dass die auf einer anderen Ebene miteinander sprachen. Das war der enge Kontakt von Erwin und Artur Braun sowie Fritz Eichler zu Ulm.

FF: Und wie ging es zwischen Erwin Braun und den Ulmern?

DR: Erwin Braun war sehr interessiert an Hans Gugelot und hat sowohl die HfG mit Spenden bedacht als auch das spätere Gugelot-Institut mitfinanziert. So hatte er natürlich einen engen Bezug zu Ulm.

FF: Wie war überhaupt die Beziehung zwischen der HfG Ulm und Braun? Max Bill taucht ja nirgends auf bei Braun.

DR: Max Bill war nicht in das Braun-Projekt involviert. Vielleicht schien es ihm am Anfang auch zu klein zu sein. Er hatte ja andere lukrative Auftraggeber. 1957 hatte er die Schule auch schon wieder verlassen. Aber als Walter Gropius im Oktober 1955 zur Eröffnung der HfG Ulm kam, zeigte er ihm alle Braungeräte. Später haben sie mich in Ulm nicht genannt, obwohl ich beim SK4 von Anfang dabei war und die Grunddisposition und die transparente Acrylglasabdeckung von uns in Frankfurt entwickelt worden war. Ulm hat mich negiert. Das hielt sich über das Ende der Hochschule hinaus, als ich mit Dr. Godehard Günther und seiner Firma Analog Digital Systems (ADS) versuchte, den HiFi-Bereich von Braun neu aufzubauen.

Eröffnung der Hochschule für Gestaltung in Ulm

FF: Was hatte Otl Aicher mit Analog Digital Systems (ADS) zu tun?

Klaus Klemp (KK): Er hat in den 80er Jahren das Typo-Logo (a/d/s/), das visuelle Erscheinungsbild und Prospekte gestaltet.

DR: Ich kannte natürlich seine Arbeit für ERCO, das war faszinierend. Anfangs wollte ich Otl Aicher für eine engere Zusammenarbeit mit ADS gewinnen. Aber eine intensivere Zusammenarbeit kam nicht zustande, weil Dr. Godehard Günther nicht so gläubig ihm gegenüber war. Aber ich war mehrfach in Rotis.

FF: Ihr habt euch also nur kurz getroffen und parallel zwei Welten aufgebaut. Ihr habt euch aber doch wahrgenommen: In Rotis etwa…

DR: … hat er mir sein Rotis sogar voller Stolz gezeigt. Und ich war begeistert von dem, was er dort aufgebaut hatte: ein „eigenes“ Dorf mit eigenem Strom. Von da an hat er nicht mehr an mir vorbeigeschaut.

KK: Kommen wir kurz zu Braun zurück: Anfang 1955 kamen Hans Gugelot und Otl Aicher mit Braun zusammen, letzterer gab Raster und Schriften für die Werbung vor. Wolfgang Schmittel hat das schnell umgesetzt, oder?

DR: Schmittel war mir als Leiter der Kommunikation gleichgestellt. Den hat Otl Aicher sehr für sich eingenommen. Ich kann mich noch gut an eine Szene erinnern, bei der ich eher zufällig anwesend war. Es ging um Fotos für Braun, immer mehr Fotos. Immer mehr Alternativen. Das war typisch für Wolfgang Schmittel und Fritz Eichler: noch eine Alternative und noch eine Alternative. Ich muss innerlich gestrahlt haben, als Otl Aicher, der das Ganze ja veranlasst hatte, kam und sagte: „Das brauche ich alles gar nicht. Ich, weiß, was ich will.“ Das fand ich großartig.

FF: Dieter, vielen Dank für deine Erinnerungen.

Dieter Rams in seinem Haus in Kronberg im Taunus

Das Gespräch fand im September 2021 statt.

Transkription: Oliver Herwig; Fotocredit: f/p design, Fritz Frenkler
Ungekürzte Fassung des Interviews hier.

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