Inhaltsverzeichnis
18.–20.06.2024
Impulse für ein neues Curriculum, Teil 4 Leadership für Nachhaltigkeit &
Public Value
Im Rahmen des „Open Campus“ – einem Gemeinschaftsprojekt der iF Design Foundation und der Neuen Sammlung – The Design Museum – fand vom 18. bis 20. Juni 2024 in München die vierte Veranstaltung zum Thema „Zukunft der Designlehre“ statt. Welche Rolle spielen Konzepte aus den Bereichen Leadership für Public Value und Nachhaltigkeit in der Designausbildung und wie können sie zukünftig in der Lehre umgesetzt werden? Impulse aus Theorie und Praxis lieferten Prof. Nina-Marie Lister (Toronto Metropolitan University), Prof. Dr. Nicola Pless (University of South Australia) und Prof. em. Dr. Wilhelm Vossenkuhl (Ludwig-Maximilians-Universität München). Die dreitägige Veranstaltung im X-D-E-P-O-T der Pinakothek der Moderne umfasste Vorträge, Workshops und ein abschließendes Symposium, das auch für die Öffentlichkeit zugänglich war.
Unter dem Titel „Designing Design Education – Impulse für ein neues Curriculum“ haben die iF Design Foundation und Die Neue Sammlung ein gemeinsames Programm vereinbart, das bis 2025 laufen wird. Die Neue Sammlung wird dabei zu einem öffentlichen Campus. Im Mittelpunkt der Veranstaltungsreihe stehen praxisnahe Impulse zur Weiterentwicklung der Designlehre, die auf Basis der 2021 im Weißbuch zur Zukunft der Designlehre veröffentlichten Erkenntnisse ausgewählt werden. Ausgangspunkt ist die allseitig geäußerte Feststellung, dass die Designausbildung unter vielfältigen Perspektiven aktualisiert werden sollte. Das Projekt zielt darauf ab, den Hochschulen ein erprobtes Spektrum praktischer Werkzeuge und Erkenntnisse zu vermitteln, die sie für ihre konkrete Transformation nutzen können. Die Auftaktveranstaltung fand im Oktober 2022 statt, gefolgt von bisher vier weiteren Veranstaltungen zu verschiedenen Aspekten der Lehre. Bis zum Abschluss des Programms im Jahr 2025 sind zwei weitere Termine geplant. Jede dieser Veranstaltungen besteht aus einem internen Teil, bei dem 30-40 angemeldete Teilnehmer Impulsvorträge und konkrete Anregungen von internationalen Experten erhalten. Diese spiegeln nicht nur den aktuellen Stand in Wissenschaft und Forschung, sondern sind auch bereits in der Lehre erprobt, in der Designausbildung aber noch nicht etabliert. Die Themen werden in einem abschließenden, auch für die Öffentlichkeit zugänglichen Symposium, diskutiert. Die rund 40 Teilnehmer der Schwerpunktveranstaltung „Leadership für Nachhaltigkeit & Public Value“ repräsentieren das breite Spektrum der mit Design verbundenen Berufsfelder: Lehre und Forschung (überwiegend), aber auch Designpraxis (selbständig und angestellt), Beratung, Management, Ausstellungswesen und Journalismus.
Positive Leadership
Den Auftakt machte Prof. Dr. Nicola Pless, Mitbegründerin des Responsible Leadership Movement, Professorin für Management an der University of South Australia, Honorarprofessorin an der University of Queensland und Guardian des Board of the Globally Reponsible Leadership Initiative (partnership of EFMD, AACSB and UNGC). Sie hielt einen aufschlussreichen Vortrag über das sich entwickelnde Feld verantwortungsbewusster Führung und betonte die Verlagerung vom traditionell gewinnorientierten Management hin zu einem ganzheitlicheren Ansatz, der soziale und ökologische Verantwortung mit einbezieht. In ihrer Forschungsarbeit identifizierte sie vier Prototypen verantwortungsbewusster Führung: den Idealisten, den Traditionalisten, den Instrumentalisten und den Integrator. Anhand von Praxisbeispielen wurden die spezifischen Merkmale jedes Typs veranschaulicht und gezeigt, wie diese Führungsmodelle in unterschiedlichen Organisationskontexten effektiv umgesetzt werden können. Führungskräfte sollten darüber nachdenken, wie ihr spezifischer Führungsstil zum sozialen Wandel beitragen kann, und sollten Partnerschaften bilden, um die effektivsten Ergebnisse zu erzielen.
Auf der Grundlage der von Prof. Pless vorgestellten Impulse entwickelten die Workshop-Teilnehmer praktische Werkzeuge für die Vermittlung von verantwortungsbewusster Führung, darunter einen interaktiven Workshop mit dem Titel „Lead or Lose“.
In diesem Rollenspiel durchlaufen die Teilnehmer verschiedene Szenarien, in denen sie kritische Entscheidungen treffen müssen, um die Bedürfnisse verschiedener Interessengruppen gegeneinander abzuwägen und werden dazu angeregt, die Auswirkungen dieser Entscheidungen auf Gemeinwohl und Nachhaltigkeit gründlich zu überdenken. Es werden reale Fallstudien wie das Ford Pinto-Dilemma verwendet, um die Komplexität von Leadership und ethischer Entscheidungsfindung im Design zu veranschaulichen.
Nachhaltigkeit
In einem zweiten Impuls sprach Prof. Nina-Marie Lister, Expertin für ökologisches Design und Landschaftsplanung, über die grundlegenden Rechte der verschiedenen Tierarten und die Bedeutung eines naturnahen Designs. Lister ist Registered Professional Planner, Professorin an der School of Urban & Regional Planning der Toronto Metropolitan University, Gastprofessorin für Landschaftsarchitektur an der Graduate School of Design der Harvard University und Senior Fellow am Massey College in Toronto. Ihr Vortrag zeigte anschaulich, wie Biodiversität und ökologische Prozesse in die Stadt- und Regionalplanung integriert werden können, um nachhaltige Umgebungen zu schaffen.
Lister zeigte die greifbaren Vorteile eines über den Menschen hinausgehenden Nachhaltigkeitsansatzes auf, indem sie Beispiele aus der Forschungsarbeit ihres Labors vorstellte, darunter Richtlinien für vogelsichere Städte und für Wildwechsel, die den Tieren einen sicheren Übergang ermöglichen und die Zahl der Kollisionen mit Fahrzeugen verringern.
Außerdem ging sie darauf ein, wie Designer dazu beitragen können, die Auswirkungen des Klimawandels abzumildern, indem sie die biologische Vielfalt erhalten und die Widerstandsfähigkeit der Städte sicherstellen. Lister rief dazu auf, über Strukturen aus der Perspektive anderer Lebewesen nachzudenken: Wie fühlt es sich an, die Welt durch die acht Linsen einer Spinne oder durch die Augen einer Wüstenschildkröte in einem Solarfeld zu sehen?
Sie unterstrich die moralische und ethische Verantwortung von Designer, die biologische Vielfalt zu schützen und ökologische Überlegungen in ihre Arbeit zu integrieren. Die Natur sollte in Diskussionen über Nachhaltigkeit die wichtigste Rolle spielen. Lister zufolge geht es darum, von einem menschenzentrierten Design zu einem Designansatz überzugehen, der den Menschen in Harmonie mit der natürlichen Welt sieht, die uns ernährt.
Werteorientierte Führung
Den abschließenden Vortrag hielt Wilhelm Vossenkuhl, emeritierter Professor für Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität München, der zu Ockham, Kant, Wittgenstein, Sprachphilosophie und Ethik publiziert hat. Er betonte die Notwendigkeit für Designer, ihre Rolle innerhalb eines breiteren gesellschaftlichen Rahmens zu verstehen. In der Designausbildung liege der Fokus oft zu sehr auf technischen Fähigkeiten, während die Entwicklung von Designer als informierte Bürger und politische Akteure vernachlässigt werde. Zur Veranschaulichung seiner Argumente führte Vossenkuhl konkrete Beispiele an, wie etwa die Umweltauswirkungen von Wind- und Wasserkraftwerken. Während diese Technologien oft als nachhaltige Lösungen angesehen werden, können sie auch negative Auswirkungen haben, wie die Zerstörung von Landschaften und die Gefährdung von Fischpopulationen. Durch die Betrachtung beider Aspekte wird die komplexe Wechselwirkung zwischen nachhaltigen Lösungen und ihren weiterreichenden Auswirkungen deutlich. Vossenkuhls Diskurs über wertebasierte Führung lieferte einen soliden Rahmen für die Bewertung der moralischen Implikationen von Designentscheidungen. Er führte den Begriff des „ethischen Designs“ ein, bei dem Designer den Nutzen ihrer Projekte gegen die potenziellen gesellschaftlichen und ökologischen Kosten abwägen müssen. Designer sollten nicht nur versuchen, Schaden zu vermeiden, sondern auch aktiv zum Gemeinwohl beitragen.
Alle Impulse gibt es auf unserem Youtube-Kanal auch als Kurzversion.
iF Design Foundation bei YoutubeFeedback der Teilnehmenden
Karenina Schröder
Manuel Steffan
Peter Naumann
Das Symposium
Ein öffentlich zugängliches Symposium fasst die Ergebnisse eines lernintensiven Workshoptages zusammen und lädt das Publikum zur Diskussion ein.
Jede Veranstaltung der Reihe endet mit einem öffentlichen Symposium im X-D-E-P-O-T der Pinakothek der Moderne, bei dem die Ergebnisse der Workshops mit dem Publikum geteilt und diskutiert werden. Nach einer kurzen Einführung durch die Vorstandsmitglieder und Moderatoren Annette Diefenthaler und René Spitz fasste Nicola Pless ihren Vortrag vom Vortag zusammen und teilte ihre Gedanken über den sich entwickelnden Bereich der verantwortungsvollen Führung und wie verschiedene Führungsansätze zum sozialen Wandel beitragen und sich gegenseitig ergänzen können. Nina-Marie Lister hob anschließend die moralische und ethische Verantwortung von Designer hervor, die biologische Vielfalt zu schützen und ökologische Überlegungen in ihre Arbeit zu integrieren. Anhand von Beispielen aus der Forschungsarbeit ihres Labors lieferte sie konkrete Belege für einen über den Menschen hinausgehenden Nachhaltigkeitsansatz, der die Perspektiven anderer Lebewesen einbezieht. Von der Philosophie kommend plädierte Wilhelm Vossenkuhl schließlich dafür, dass Designer als informierte Bürger und politische Akteure agieren sollten, die nicht nur Schaden vermeiden, sondern auch aktiv einen positiven Beitrag zum Gemeinwohl leisten wollen.
Ausblick auf das Campus-Projekt von iFDF x DIE NEUE SAMMLUNG bis 2025: Kommende Veranstaltungen
Die Direktorin der Neuen Sammlung, Prof. Dr. Angelika Nollert, bedankte sich abschließend bei Podium und Publikum für die vielen Denkanstöße. Im Jahr 2024 wird es eine weitere Veranstaltung dieser Reihe geben: Der Workshop und das Symposium im März 2025 werden dem Thema „Creativity“ gewidmet sein.
Wenn Sie Interesse haben, an den Workshops teilzunehmen, tragen Sie sich bitte hier in unsere Mailingliste ein (siehe unten für die Newsletter-Anmeldung). Wir werden Sie dann zu gegebener Zeit einladen. Die Teilnahme ist kostenlos, die Anzahl der Plätze ist begrenzt, und die Bestätigungen werden in der Reihenfolge des Eingangs der Anmeldungen ausgestellt.
Impulsgeber »Leadership für Nachhaltigkeit & Public Value«
Prof. Dr. Nicola Pless
University of South Australia
Dr. Nicola M. Pless (PhD University of St. Gallen) is a Chaired Professor of Management at the University of South Australia, Honorary Professor at the University of Queensland and serves as Guardian to the Board of the Globally Responsible Leadership Initiative (partnership of EFMD, AACSB and UNGC). She is a co-founder of the responsible leadership movement and listed by Stanford University among the top 2% scientists in the world. She has also substantial international experience working for global Fortune 500 companies in Europe and the US (e.g., UBS AG, Mercedes Benz) and as a former Vice President International Leadership Development and member of senior management at Credit Suisse and serving at the World Bank Group in Washington DC. She also served on the faculties of ESADE, INSEAD, University of St. Gallen and as Honorary Jef-Van-Gerwen SJ Chair at the University of Antwerp. She is a former editor of the Journal of Business Ethics and currently sits on the editorial boards of Academy of Management Perspectives and Academy of Management Collections (2023 AOM Best Reviewer Award). Her research on responsible leadership and purpose, sustainability, ethics and global governance, diversity, inclusion, and neuroscience appeared in leading FT50 journals (e.g., Human Resource Management, Journal of Business Ethics, Journal of Management Studies), received numerous awards (among them several Academy of Management Awards), and has been featured in the media (e.g., BBC, Boston Globe, Business Week, CEO Magazine, El Mundo, Fortune, La Vanguardia).
She has conducted research with and consulted for many organizations, including Advanced Brain Monitoring, Deutsche Telekom, Dong Energy, Gram Vikas, Greenpeace, Intel, Jurlique, PricewaterhouseCoopers, SA Power Networks, Swarovski, The Body Shop, Volkswagen.
Her teaching was honoured with the Faculty Pioneer Award for Teaching Innovation and Excellence by the Aspen Institute. She is a certified executive coach by INSEAD and IECL, and a Fellow of the Institute of Coaching at McClean Hospital / Harvard Medical School Affiliate. She is passionate about consulting organizations in responsible business, executive coaching and developing the next generation of responsible leaders.
Prof. Nina-Marie E. Lister
Toronto Metropolitan University
Nina-Marie Lister is Professor in the School of Urban & Regional Planning at Toronto Metropolitan University, Visiting Professor of Landscape Architecture at Harvard University’s Graduate School of Design and Senior Fellow at Massey College in Toronto. Awarded the Margolese National Design for Living Prize for her work in ecological design, Lister is a Registered Professional Planner (MCIP, RPP) trained in systems ecology, environmental science and landscape planning. Prof. Lister’s research, teaching and practice centre on the relationship between landscape infrastructure, biodiversity and ecological processes—specifically in the context of ecological design for biodiversity recovery, climate resilience, and human well-being. At TMU, Lister founded and directs the Ecological Design Lab, a collaborative incubator for ecological design research and practice.
Her current research is funded by the Canadian Tri-Council (SSHRC) and the Swedish Research Council for Sustainable Development (FORMAS). She is co-editor of Projective Ecologies (with Chris Reed, published by Harvard University and ACTAR Press, 2014, 2020) and The Ecosystem Approach: Complexity, Uncertainty, and Managing for Sustainability (with David Waltner-Toews and the late James Kay, Columbia University Press, 2008), and author of more than 100 scholarly research & professional practice publications. These include notable contributions to Design With Nature Now (Lincoln Land Institute 2019), Nature & Cities: The Ecological Imperative in Urban Planning & Design (Lincoln 2016), Is Landscape…Essays on the Identity of Landscape (Routledge 2016), Ecological Urbanism (Harvard University with Lars Müller Publishers 2010), and Large Parks (Princeton Architectural Press 2008, winner of the J.B. Jackson Book Prize).
Her work has been featured in international critical, creative exhibitions, including the 2016 Venice Architectural Biennale as a collaborator on Canada’s entry, EXTRACTION. Lister serves the community in practice through various board appointments, including as a member of the Waterfront Toronto Design Review Panel, as an advisor to the international Biophilic Cities Network and as a board member of North America’s $500M Wildlife Crossing Fund. In recognition of her international leadership in ecological design, Lister has been awarded Honourary Membership in the American Society of Landscape Architects and in the Ontario Association of Landscape Architects. She has received a Canadian Green Building Council’s excellence and leadership award and was nominated among Planetizen’s Most Influential Urbanists.
Prof. Dr. Wilhelm Vossenkuhl
Ludwig-Maximilians-Universität München
Wilhelm Vossenkuhl is Professor emeritus of philosophy at Ludwig-Maximilians-University (Munich). He has published on Ockham, Kant, Wittgenstein, on the philosophy of language and on ethics. Recently he published »Ethik und ihre Grenzen« (2021), »Was gilt. Über den Zusammenhang zwischen dem, was ist, und dem, was sein soll« (2021). Together with Winfried Nerdinger he edited »Otl Aicher. Design. Type. Thinking« (2022), celebrating Aicher’s 100th birthday. In the 1980s Vossenkuhl cooperated closely with Otl Aicher in a number of projects. Vossenkuhl is member of the jury for the international award in architecture, the Obel Award, offered by the Obel Foundation (Copenhagen).