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15.–17.10.2024
Impulse für ein neues Curriculum, Teil 5 Innovation
Im Rahmen des „Open Campus“-Gemeinschaftsprojektes der iF Design Foundation und der Neuen Sammlung – The Design Museum fand vom 15. bis 18. Oktober 2024 in München die mittlerweile fünfte Veranstaltung zum Thema „Designing Design Education“ statt. Wie kann Designlehre innovativ sein und wie kann die Designausbildung innovative Ansätze junger Gestalter und Gestalterinnen fördern? Impulse aus Theorie und Praxis lieferten Prof. Dr. Gareth Loudon (Imperial College/Royal College of Art, London), Fumiko Ichikawa (Re:Public, Tokyo), Dr. Delfina Fantini van Ditmar (Royal College of Art, London) und Prof. Dr. Bethan Gordon (Cardiff School of Art & Design). Die dreitägige Veranstaltung im X-D-E-P-O-T der Pinakothek der Moderne umfasste Vorträge, Workshops und ein abschließendes Symposium, das für die Öffentlichkeit zugänglich war.
Unter dem Titel „Designing Design Education – Impulse für ein neues Curriculum“ haben die iF Design Foundation und Die Neue Sammlung ein gemeinsames Programm vereinbart, das noch bis 2025 laufen wird. Die Neue Sammlung wird dabei zu einem öffentlichen Campus. Im Mittelpunkt der Veranstaltungsreihe stehen praxisnahe Impulse zur Weiterentwicklung der Designlehre, die auf Basis der 2021 im Weißbuch zur Zukunft der Designlehre veröffentlichten Erkenntnisse ausgewählt werden. Ausgangspunkt ist die allseitig geäußerte Feststellung, dass die Designausbildung unter vielfältigen Perspektiven aktualisiert werden sollte. Das Projekt zielt darauf ab, den Hochschulen ein erprobtes Spektrum praktischer Werkzeuge und Erkenntnisse zu vermitteln, die sie für ihre konkrete Transformation nutzen können.
Die Auftaktveranstaltung fand im Oktober 2022 statt, gefolgt von bisher vier weiteren Veranstaltungen zu verschiedenen Aspekten der Lehre. Bis zum Abschluss des Programms im Jahr 2025 ist noch ein weiterer Termin geplant. Jede dieser Veranstaltungen besteht aus einem internen Teil, bei dem 30 bis 40 angemeldete Teilnehmer Impulsvorträge und konkrete Anregungen von internationalen Experten erhalten. Diese spiegeln nicht nur den aktuellen Stand in Wissenschaft und Forschung, sondern sind auch bereits in der Lehre erprobt, in der Designausbildung aber noch nicht etabliert. Die Themen werden in einem abschließenden, auch für die Öffentlichkeit zugänglichen Symposium, diskutiert.
Die 41 Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Schwerpunktveranstaltung „Innovation“ repräsentieren das breite Spektrum der mit Design verbundenen Berufsfelder: Lehre und Forschung (überwiegend), aber auch Designpraxis (selbständig und angestellt), Beratung, Management, Ausstellungswesen und Journalismus.
Innovation Beyond Design
Gareth Loudon, verantwortlich für die Masterstudiengänge „Global Innovation Design“ und „Innovation Design Engineering“ am Royal College of Art, London, sprach über die Möglichkeiten und Herausforderungen der Neugestaltung eines Lehrplans. Der Doppelmaster „Innovation Design Engineering“ zielt darauf ab, Führungspersönlichkeiten auszubilden, die Design, Technik und Wissenschaft miteinander verschränken, um Antworten auf die komplexen Probleme der Gegenwart zu finden. Um dieses Ziel zu erreichen, haben Gareth Loudon und sein Team drei Phasen entwickelt: „foundation,“ „consolidation“ und „mastery.“ Gareth Loudon ist davon überzeugt, dass alle Studenten zuerst lernen müssen, sich souverän und selbstbewusst in der eigenen Disziplin zu bewegen, um danach das volle Potential einer transdisziplinären Zusammenarbeit ausschöpfen zu können. Diese Basis erlaubt es in der folgenden zweiten Phase, sich eigene Ziele zu setzen. Das Studium geht dann in eine praktische Phase über, in der jeweils zwei große Projekte bearbeitet werden. Bei der Wahl ihrer Themen haben die Studenten dabei fast völlige Freiheit – die einzige Bedingung lautet, dass ihr Projekt einen positiven Einfluss auf die Gesellschaft hat. Diese Gestaltungsfreiheit stellt für viele eine Herausforderung dar. Doch der Erfolg gibt Loudon recht: Mit Hilfe eines Unterstützungsnetzwerks sind aus dem Programm mehrere Start-Ups hervorgegangen, die z.B. Umweltverschmutzung und Abfallprobleme adressieren.
Im Workshop stellte Gareth Loudon die Teilnehmenden vor ein leeres Blatt und forderte sie auf, ihr ideales Innovationscurriculum zu entwerfen. Neben zentralen Begriffen für die innovative Designlehre arbeiteten die Teams auch intellektuelle und ökonomische Herausforderungen heraus, auf die die Implementierung ihres Programms stoßen könnte.
Multi-Layer Innovation
Die zweite Expertin, Fumiko Ichikawa aus Tokyo, gründete 2011 nach den einschneidenden Erdbeben in Japan das Projekt Re:Public als ein partizipatives Programm, das sich auf die Gestaltung öffentlicher Räume und Zusammenhänge konzentriert und dabei die Betroffenen nicht nur einbezieht, sondern ihnen auch Prozesswissen vermittelt. Die Katastrophe hatte verdeutlicht, wie dringend Innovation bei der Gestaltung von Räumen und Orten für Gemeinschaften gebraucht wurde. Fumiko Ichikawa definierte Innovation als die unumkehrbare Transformation von Werten, Routinen und Lebensrealitäten und lehnt vereinfachende Definitionen ab, die sich nur auf neue technische Entwicklungen ohne gesellschaftlichen Mehrwert beziehen. Um innovative Ideen entwickeln zu können, betonte Fumiko Ichikawa die notwendige Verknüpfung von Orten, Menschen und Praktiken. Dieser Ansatz bestimmt, wie Re:Public Projekte konzipiert. Sie beginnen immer damit, eine Gruppe von Designern den betreffenden Ort und die Menschen, die ihn bewohnen, kennenlernen zu lassen. Das Ziel der Zusammenarbeit ist kein Produkt, sondern eine kulturelle Veränderung. Ein digitales Trackingsystem in der Abfallwirtschaft führte z.B. dazu, dass die gesamte Ortsgemeinschaft die Verantwortung für den Abfall besser wahrnehmen konnte. Gleichzeitig wurden klimaschädliche Emissionen reduziert und die Menschen sind jetzt in die Lage, unmittelbar und gemeinsam auf neue Probleme zu reagieren. Fumiko Ichikawa betonte dabei das Potenzial für Designer, das sich aus dieser Zusammenarbeit ergibt: auf der Suche nach innovativen Lösungen für lokale Herausforderungen sind sie nicht auf sich alleine gestellt, sondern können eine engagierte Öffentlichkeit einbinden und viele Perspektiven berücksichtigen.
Im Workshop stellte Fumiko Ichikawa die Stadt Kirishima vor, in der Institutionen und Industriestandorte gemeinsam Kreislaufwirtschaftssysteme entwickelten, um Abfall zu vermeiden. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Workshops bauten diese Ideen mit einem Fokus auf die Textilherstellung und den Tourismus aus.
Innovation for Planetary Health
Die Biologin und Designforscherin Delfina Fantini van Ditmar vom Royal College of Art in London gab einen Impuls zu regenerativem Design. Sie fordert, dass Design nicht nur weniger umweltschädlich sein soll, sondern die Gesundung des ökologisch-sozialen Systems fördern sollte. Aufbauend auf Anthony Frys Gedanken zur Befristung von Designlösungen ist Design hier ein gleichzeitig kreativer und destruktiver Prozess, in dem Verantwortung für die (un)möglichen Zukünfte der Resultate übernommen werden muss. Eine unverzichtbare Voraussetzung für dieses systemische Verständnis von Design ist die Einstellung, dass der Mensch nicht mehr im Mittelpunkt der ökologischen Systeme steht (Dezentralisierung). Um einen regenerativen Designprozess fassbarer zu machen, stellte Delfina Fantini van Ditmar eine Reihe erfolgreicher Projekte vor, die einen positiven Effekt auf die Umwelt durch Technologien ermöglichten. Wie die anderen Redner unterstrich auch sie die Bedeutung der transdisziplinären Zusammenarbeit und lokalen Verbundenheit. In der Designlehre vermittelte Delfina Fantini van Ditmar diese Grundsätze am erfolgreichsten mit Designern, die in ihrer Berufspraxis ihre Herangehensweise grundlegend verändert haben. Dabei gewinnen die Studenten nicht nur unmittelbare Kenntnisse über Materialien und Räume, sondern auch über die ökonomische Realisierbarkeit ökologisch-sozialer Resilienz.
Im anschließenden Workshop arbeiteten die Teams an der Frage, wie sich die Konzepte und Ziele des regenerativen Designs konkret in die Lehre einbeziehen lassen.
Spaces for Innovation (Beyond Education)
Der letzte Impuls kam von Bethan Gordon, der Dekanin der Cardiff School of Art and Design. Sie stellte einen ganzheitlichen Ansatz der Planung eines Curriculums vor, in dem Kreativität als Innovationstreiber gefördert wird. Da nach aktueller Annahme in zehn Jahren rund 65% aller Tätigkeiten in der Berufspraxis nicht mehr existieren werden, ist lebenslanges Lernen und die Fähigkeit zur Anpassung an permanente Veränderung unverzichtbar. Auf beides muss das Studium vorbereiten. Bei der Neugestaltung des Curriculums an der Cardiff School of Art and Design definierte Bethan Gordon drei essenzielle Schritte: als erstes müssen Studenten in ihrem Fach solide verankert sein, um zweitens mit anderen Studenten zusammenarbeiten zu können. Dies ermöglicht ihnen drittens, Theorie und Praxis miteinander zu verbinden und die Bedeutung ihrer Arbeit zu verstehen. Da Studenten völlig unterschiedliche Ambitionen haben, unterstützt das Lehrpersonal sie flexibel auf ihrem akademischen Weg. Wie Gareth Loudon und Delfina Fantini van Ditmar unterstreicht auch Bethan Gordon, dass das Zugehörigkeitsgefühl der Studenten zu ihrer Disziplin genauso wichtig ist wie die Berührungspunkte zu Studierenden anderer Disziplinen. Um sie dabei zu ermutigen, Risiken einzugehen, wurde das Notensystem abgeschafft und durch regelmäßige Reflexionstermine ersetzt. Bethan Gordon macht sich stark für eine neue Kultur der Zusammenarbeit, die mit dem Finden einer gemeinsamen Sprache beginnt.
Im Workshop regte sie zur Reflexion über Innovationsprozesse an, in die die Teilnehmenden bereits involviert sind. In den Teams wurde diskutiert, wie durch minimale Verbesserungen zusätzliche Veränderungen angestoßen werden können.
Alle Impulse gibt es auf unserem Youtube-Kanal auch als Kurzversion.
iF Design Foundation bei Youtube

Feedback der Teilnehmenden
Maria Fröhlich
Daniel Braun
Karen Nennen
Bettina Maisch
Das Symposium
Ein öffentlich zugängliches Symposium fasst die Ergebnisse eines lernintensiven Workshoptages zusammen und lädt das Publikum zur Diskussion ein.
Jede Veranstaltung der Reihe endet mit einem öffentlichen Symposium im X-D-E-P-O-T der Pinakothek der Moderne, bei dem die Ergebnisse der Workshops mit dem Publikum geteilt und diskutiert werden. Nach einer kurzen Einführung durch die Vorstandsmitglieder und Moderatoren Annette Diefenthaler und René Spitz fasste Gareth Loudon seine Erkenntnisse aus der Erstellung eines neuen Curriculums zusammen, das den Studenten viele Freiräume bietet. Fumiko Ichikawa hob die Vorteile eines inklusiven Designprozesses hervor, der eine engagierte Öffentlichkeit schafft. Im Anschluss teilte Delfina Fantini van Ditmar Ideen zur Lehre des regenerativen Designs und erläuterte, wie stark die Studenten von Einblicken in die praktischen Anwendungen regenerativer Designkonzepte profitieren. Zum Schluss zeigte Bethan Gordon auf, wie Innovation aus einer modernen Lernerfahrung resultiert. Sie betonte die Bedeutung regelmäßiger Reflexion und einer Lehre, die alle Studenten darin bestärkt, Risiken einzugehen.
Ausblick auf das Campus-Projekt von iFDF x DIE NEUE SAMMLUNG bis 2025: Kommende Veranstaltungen
Die Direktorin der Neuen Sammlung, Prof. Dr. Angelika Nollert, bedankte sich abschließend beim Podium und beim Publikum für die vielen Denkanstöße. Im Jahr 2025 wird es eine sechste und letzte Veranstaltung innerhalb der Reihe geben: Der Workshop und das Symposium im März (18.-20.03.2025) werden dem Thema „Creativity“ gewidmet sein. Im November (20.11.2025) werden die Erkenntnisse des gesamten, seit 2023 laufenden Projekts als zweisprachiges Buch vorgestellt. Wenn Sie Interesse haben, am letzten Symposium am 20. März 2025 (die Plätze für den letzten Workshop sind leider bereits ausgebucht) oder an der Buchvorstellung am 20. November 2025 teilzunehmen, tragen Sie sich bitte hier in unsere Mailingliste ein (siehe unten für die Newsletter-Anmeldung). Die Teilnahme ist kostenlos, die Anzahl der Plätze ist begrenzt, und die Bestätigungen werden in der Reihenfolge des Eingangs der Anmeldungen ausgestellt.
Impulsgeber »Innovation«

Prof. Dr. Gareth Loudon
Royal College of Art, London
Gareth’s interest is creativity, combining ideas from anthropology, psychology, engineering and design, and has led international transdisciplinary research projects both in academia and industry. Gareth is Professor of Creativity and Head of Programmes for the MA/MSc Innovation Design Engineering and MA/MSc Global Innovation Design at the RCA, which are run jointly with Imperial College London. Previously Gareth was Associate Dean (Research) at the Cardiff School of Art and Design. He has also worked for Apple and Ericsson Research in the design and development of new software and computer embedded products. Gareth is a Chartered Engineer, a Fellow of the Institution of Engineering and Technology and a Fellow of the Higher Education Academy.

Fumiko Ichikawa
Re:Public, Tokyo
Fumiko Ichikawa is an entrepreneur and co-founder of Re:public, a »think & do« tank based in Tokyo, Japan. With a passion for fostering innovation and collaboration, Ichikawa has played a pivotal role in empowering diverse creative talents and organizations across Japan. Clients include local governments of Fukuoka, Hiroshima, Kobe, and Satsuma Sendai; companies like Hitachi, Sony, and Fujitsu; national governments, Ministry of Economy Trade and Industry (METI) and Ministry of Environment.
With local governments, Ichikawa designs and offers programs for local SMEs to identify their purpose and to create business for the sustainable future. She serves on the Social Venture Committee, reflecting passion for supporting social entrepreneurship. Fumiko also serves as a board of director for fog inc., a circular design firm and restaurant in downtown Tokyo.

Dr. Delfina Fantini van Ditmar
Royal College of Art, London
Delfina Fantini van Ditmar, PhD, is a Research Professor at the Centre of Applied Research for Art, Design and Technology (CARADT), focusing on Biodesign and More than Human Perspectives. She also co-directs the UKRI-funded Becoming Regenerative Lab. Delfina holds a BA in Biology and completed her PhD at the Royal College of Art in the School of Design, where she has taught in the MA Design Products, MSc/MA Innovation Design Engineering, and MA Fashion programmes.
She co-founded the Design Research Society (DRS) Special Interest Group on Design and Ethics. In 2021, Delfina was selected as one of the Future Observatory Design Researchers in Residence (DRiR) at the Design Museum, in partnership with the Arts and Humanities Research Council (AHRC).
Her practice focuses on ecological thinking, reflective practices, epistemological paradigms, and alternative futures. Motivated by her interest in ecological thinking, systemic responses to environmental collapse, and inter-relations, her critical work explores material ethics of care and the paradigm shifts needed in design. In her teaching, she encourages students to reflect on epistemological paradigms, envision alternative futures, think systemically, and critically analyze the broader implications of their decisions.
Delfina has participated in the Royal College of Art’s School of Design transdisciplinary module The Grand Challenge, the Design Futures elective, and the Across RCA (Climate group). Since 2018, she has also been a course lead in the RCA Executive Education programme.

Prof. Dr. Bethan Gordon
Cardiff School of Art & Design
Bethan’s career spans academia and industry, she has become recognised for her design thinking, usability testing, and professional enquiry that has influenced CSAD’s curriculum design, local design and manufacture companies, Wales curriculum reform in compulsory education to her latest contribution in supporting England’s political agenda to safeguard design in their compulsory education system.