Impuls 6: Kreativität

18.–20.03.2025

Impulse für ein neues Curriculum, Teil 6
Kreativität

Im Rahmen des »Open Campus«-Gemeinschaftsprojektes der iF Design Foundation und der Neuen Sammlung – The Design Museum fand vom 18. bis 20. März 2025 in München der finale Workshop in der Reihe »Designing Design Education« statt. Wie kann Kreativität in der Designausbildung gefördert werden und welche Möglichkeiten der Selbststeuerung stehen Designerinnen und Designern offen? Impulse aus Theorie und Praxis lieferten Prof. Dr. Sascha Friesike (Universität der Künste, Berlin), Prof. Dr. Anna Abraham (Torrance Center for Creativity and Talent Development, University of Georgia, Athens), Prof. Dr. Hye-Jung Eun (Neoma Business School, Reims), Sandy Speicher (Design for Good, San Francisco) und Maarten Hemmen (Breathwork Coach, Köln). Die dreitägige Veranstaltung im X-D-E-P-O-T der Pinakothek der Moderne umfasste Vorträge, Workshops und ein abschließendes Symposium, das für die Öffentlichkeit zugänglich war.

Unter dem Titel »Designing Design Education – Impulse für ein neues Curriculum« haben die iF Design Foundation und Die Neue Sammlung ein gemeinsames Programm vereinbart, das noch bis Ende des Jahres läuft. Die Neue Sammlung wird dabei zu einem öffentlichen Campus. Im Mittelpunkt der Veranstaltungsreihe stehen praxisnahe Impulse zur Weiterentwicklung der Designlehre, die auf Basis der 2021 im Weißbuch zur Zukunft der Designlehre veröffentlichten Erkenntnisse ausgewählt werden. Ausgangspunkt ist die allseitig geäußerte Feststellung, dass die Designausbildung unter vielfältigen Perspektiven aktualisiert werden sollte. Das Projekt zielt darauf ab, den Hochschulen ein erprobtes Spektrum praktischer Werkzeuge und Erkenntnisse zu vermitteln, die sie für ihre konkrete Transformation nutzen können. 

Die Auftaktveranstaltung fand im Oktober 2022 statt, gefolgt von bisher fünf weiteren Veranstaltungen zu verschiedenen Aspekten der Lehre. Im November 2025 werden die Ergebnisse der Veranstaltungsreihe vorgestellt. Jeder der Workshops besteht aus einem internen Teil, bei dem 30 bis 40 angemeldete Teilnehmer Impulsvorträge und konkrete Anregungen von internationalen Experten erhalten. Diese spiegeln nicht nur den aktuellen Stand in Wissenschaft und Forschung, sondern sind auch bereits in der Lehre erprobt, in der Designausbildung aber noch nicht etabliert. Die Themen werden in einem abschließenden, auch für die Öffentlichkeit zugänglichen Symposium, diskutiert.

Die 36 Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Schwerpunktveranstaltung »Creativity« repräsentieren das breite Spektrum der mit Design verbundenen Berufsfelder: Lehre und Forschung (überwiegend), aber auch Designpraxis (selbständig und angestellt), Beratung, Management, Ausstellungswesen und Journalismus.

What Creativity is About

Den Creativity-Workshop eröffnete Sascha Friesike, Studiengangsleiter des berufsbegleitenden Masterstudiengangs Leadership in digitaler Innovation an der Universität der Künste Berlin, mit einem gesteuerten Gruppenaustausch. Neben Definitionen von Kreativität ging es um die Frage, wie die Kreativität anderer gefördert werden könne. Dies beschäftige sowohl Lehrende an Universitäten als auch Studierende, die zukünftig Teams leiten werden. Da die Herausforderungen der Gegenwart mehr denn je nach komplexen und originellen Antworten verlangen, sei die Förderung von Kreativität unabdingbar. Sascha Friesike stellte die lang gültige Definition von Kreativität als etwas zugleich Neues und Nützliches infrage. Nützlichkeit werde in idealisierten Designprozessen oft mitgedacht, aber sei schlussendlich weniger entscheidend. Dies zeige sich auch in der Praxis: Designerinnen und Designer arbeiten sowohl zielgerichtet an konkreten Lösungen für Probleme als auch spielerisch mit Ideen, deren Nutzen zunächst nicht ersichtlich ist. Neben Charaktereigenschaften, die im kreativen Prozess förderlich sind, ist laut Friesike divergentes Denken Bedingung für kreatives Handeln. Um neue Ideen zu generieren, seien viele Wege zwischen körperlicher Betätigung und impulsivem Entwerfen praktikabel und allgemein bekannt. Mit Hilfe des Kreativitätsmodells The Amusement Park Theoretical (APT) betonte Sascha Friesike, wie das Arbeitsumfeld und bestimmte Charaktereigenschaften Kreativität in spezifischen Kontexten fördern oder hindern können.

Creative Neurocognition

Aufbauend auf der Diskussion um Praktiken und Vorstellungen rund um Kreativität untermauerte Anna Abraham vom Torrance Center for Creativity and Talent Development diese Diskussion mit Erkenntnissen aus der Neurowissenschaft. Sie konstatierte, es gäbe keine Gehirnregion, die exklusiv für kreatives Denken zuständig sei. Kreatives Denken sei vielmehr eine Art des Denkens, die der eigentlichen Funktionsweise unseres Gehirns widerspreche. Das Gehirn funktioniere primär über rezeptive vorahnende Schleifen (»Loops«), um möglichst effizient und schnell Entscheidungen treffen zu können. Der kreative Prozess hingegen sei charakterisiert durch generative erforschende Schleifen, in denen das Gehirn dynamisch involviert ist. Auch Anna Abraham kritisierte die Definition von Kreativität als etwas Neues, Originelles, das zugleich nützlich ist. Der Schaffensprozess sei viel wichtiger, und auch nonkonforme, marginalisierte oder kindliche Ausdrucksformen von Kreativität müssen in einer präzisen Definition Platz haben. Nützlichkeit, Angemessenheit und Verwendbarkeit als sekundäre Faktoren einzubeziehen, sei am Ende treffender. Darin unterscheide sich menschliche Kreativität von KI. Auch wenn das entstandene Produkt stellenweise vergleichbar erscheint, sei der Prozess dorthin ein ganz anderer. Um Studierende zu fördern und darin zu bestärken, kreativ zu sein, müssen Lehrende laut Anna Abrahams einen Rahmen schaffen, der vielfältige Herangehensweisen ermöglicht und Studierende befähigt, selbstbestimmt zu arbeiten.

Overcoming Hidden Barriers to Success

Hye-Jung Eun von der Neoma Business School in Reims setzte genau an diesem Punkt an und diskutierte psychologische Barrieren, die uns am kreativen Denken und Handeln hindern. Besonders in kollaborativen Situation würden Menschen ihre eigenen Ideen oft selbst zensieren, bevor sie überhaupt eine Chance haben, diese zu diskutieren und zu entwickeln. Das Fehlen kreativer Selbstwirksamkeit sowie durch internen und externen Druck ausgelöste Angst und Stress blockiere uns, produktiv zu sein. Hierbei unterstrich Hye-Jung Eun, dass Kreativität keine angeborene Fähigkeit sei, sondern durch ein bejahendes Umfeld gefördert werden könne. Das Selbstbewusstsein und die Selbstwirksamkeit, die wir im Schaffensprozess verspüren, sei dabei ausreichende Motivation, um ins Handeln zu kommen. In ihrer Forschung hat Hye-Jung Eun den Zusammenhang zwischen Kreativität und Geschlecht erforscht. Dabei stellte sie fest, dass es keine signifikanten geschlechterspezifischen Unterschiede in Bezug auf kreative Fähigkeiten gibt. Allerdings würden Frauen im Vergleich zu Männern einen höheren Druck und mehr Angst verspüren, kreativ zu sein. Gesellschaftliche Vorstellungen führen zu weniger Unterstützung im sozialen Umfeld, innovative Ideen zu verfolgen. Als Konsequenz würden sie häufiger an ihren Fähigkeiten zweifeln und Führungspositionen vermeiden. Auch in der Wahrnehmung erfolgreicher Gestalterinnen und Gestalter gäbe es geschlechterspezifische Unterscheidungen: Männer würden häufig als Genies stilisiert, während Frauen als besonders fleißig charakterisiert würden. Hye-Jung Eun sprach sich für den Abbau dieser Hürden aus und forderte uns auf, auch bei unkonventionellen Ideen zu fragen, ob wir sie zu früh aufgeben.

Imagination in Challenging Times

Weiterführend zeigte Sandy Speicher von Design for Good auf, welche Blockaden Designerinnen und Designer in konkreten Projekten begegnen können. In einer stetig komplexer werdenden Welt müsse Design den Bedürfnissen vieler Menschen gerecht werden. Neue Projekte würden in existierenden Kontexten funktionieren und gleichzeitig neue Impulse setzen müssen. Für Projekte wie die Neugestaltung eines Gefängnisses für junge Straftäter in den USA stelle Design-Teams daher sowohl vor emotionale als auch konzeptuelle Herausforderungen. Sandy Speicher beschrieb die emotionale Überforderung (empathy overwhelm) als einen Zustand, der die Entwicklung neuer Ideen blockiere. Die emotionale Auseinandersetzung mit schwierigen Lebenssituationen von Menschen, für die neue Räume gestaltet werden, binde Kapazitäten. Sandy Speicher empfahl, dieses Gefühl direkt anzugehen, indem Gestalterinnen und Gestalter Beziehungen zu Menschen aufbauen, die mit ihren Projekten interagieren bzw. sich in ihnen bewegen werden, sichtbare Probleme ansprechen und übersehene Bedürfnisse weitertragen. Neben der emotionalen Ebene gäbe es auch die kognitive Überanstrengung (cognitive overload) und die Ambiguitätsparalyse (ambiguity paralysis). Erstere werde durch eine vorherrschende Informationsflut ausgelöst, in der sowohl Überblick als auch begrenzte Ressourcen wie Zeit und Aufmerksamkeit verloren gingen. Hierbei empfahl Speicher die Konzentration auf Expertinnen und Experten und auf ihre Forschung. Auch nannte Sandy Speicher die Gefahr einer Überforderung durch die Fülle von Möglichkeiten und die Unmöglichkeit, die eine richtige Antwort zu finden. Hier könne die Konzentration auf den Designprozess an sich und eine Hinwendung zu spekulativen Designprozessen eine Lösung sein. Abschließend betonte Sandy Speicher, dass Gefühle von Überforderung und Unwirksamkeit in Teilen auch gelernt seien und dass uns das Formulieren einer Frage und das Finden einer Community dabei helfen können, wieder in einen kreativen Modus zu kommen.

Creativity and Body

Der letzte Impuls kam aus einer anderen Richtung: Maarten Hemmen ist Breathwork- und Eisbad-Coach und beschäftigt sich mit den körperlichen Mechanismen von Stress und Überforderung. Körperliche Betätigung als Ausgleich und Anstoß, um neue Gedanken zu entwickeln, sei allgemein bekannt. Maarten Hemmen unterstrich aber, dass der Körper zu selten bewusst wahrgenommen werde und die Signale von Stress und Überforderung oftmals lange ignoriert werden. Ein systemisches Verständnis des menschlichen Organismus gäbe uns die Möglichkeit, Kontrolle wiederzugewinnen. Hierbei biete die Atmung Möglichkeiten, ruhiger und aufmerksamer zu werden. Der Atemvorgang sei einer der wenigen körperlichen Prozesse, die wir bewusst steuern können. Im vergangenen Jahrhundert ist die Anzahl an Atemvorgängen pro Minute laut Maarten Hemmen stressbedingt signifikant gestiegen. Um langfristig kreativ zu sein und mit Sinn zu gestalten, können Stress und Überforderung durch bewusste Atmung, eingedämmt werden.

Alle Impulse gibt es auf unserem Youtube-Kanal auch als Kurzversion.

iF Design Foundation bei Youtube

Feedback der Teilnehmenden

Lu Grompone
Duale Hochschule Baden-Würtemberg

Stefanie Kubanek
SC Johnson Graduate School of Management and SC Johnson College of Business

John Lam
Technical University of Munich (TUM)

Das Symposium

Ein öffentlich zugängliches Symposium fasst die Ergebnisse eines lernintensiven Workshoptages zusammen und lädt das Publikum zur Diskussion ein.

Jede Veranstaltung der Reihe endet mit einem öffentlichen Symposium im X-D-E-P-O-T der Pinakothek der Moderne, bei dem die Ergebnisse der Workshops mit dem Publikum geteilt und diskutiert werden. Nach einer kurzen Einführung durch die Vorstandsmitglieder und Moderatoren Annette Diefenthaler und René Spitz präsentierte Sascha Friesike verschiedene Modelle kreativer Prozesse und glich sie mit allgemeinen Vorstellungen ab. Anna Abraham beleuchtete die neuronalen Prozesse hinter kreativem Schaffen. Im Anschluss führte Hye-Jung Eun aus, welche psychologischen Barrieren Designerinnen und Designern im Weg stehen können und wie diese zu den unterschiedlichen Wahrnehmungen der Leistung von Frauen und Männern führen. Sandy Speicher untermauerte die beschriebenen Barrieren mit verschiedenen sozialen Stressfaktoren, die in komplexer werdenden Designprozessen aufkommen können. Zum Schluss gab Maarten Hemmen einen praktischen Impuls zur Stressvermeidung und -kontrolle über den Atem.

Ausblick auf das Campus-Projekt von iFDF x DIE NEUE SAMMLUNG bis Ende 2025: Kommende Veranstaltungen

Die Direktorin der Neuen Sammlung, Prof. Dr. Angelika Nollert, bedankte sich abschließend beim Podium und beim Publikum für die vielen Denkanstöße. Am 20.11.2025 werden die Erkenntnisse des gesamten, seit 2022 laufenden Projekts als zweisprachiges Buch vorgestellt.

Wenn Sie Interesse haben, an der Buchvorstellung am 20. November 2025 teilzunehmen, tragen Sie sich bitte hier in unsere Mailingliste ein (siehe unten für die Newsletter-Anmeldung). Die Teilnahme ist kostenlos, die Anzahl der Plätze ist begrenzt, und die Bestätigungen werden in der Reihenfolge des Eingangs der Anmeldungen ausgestellt.

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Impulsgeber »Kreativität«

Sascha Friesike is Professor of Digital Innovation Design at the Berlin University of the Arts and Director of the Weizenbaum Institute for Networked Society. He is also in charge of the continuing education master program »Leadership in digital innovation« at the UdK Berlin. Friesike is an industrial engineer and holds a doctorate in innovation management from the University of St.Gallen. He spent a year of his doctorate in Stanford, USA. He then helped to establish the Humboldt Institute in Berlin, where he was Head of Research until 2016. He was Professor of Business Administration at the University of Würzburg from 2014 to 2016 and Assistant Professor of Digital Innovation at the VU University in Amsterdam from 2017 to 2019. His research focuses on the role digital plays when something new is created. He examines the role of digitalization in academic research or looks at how creative people remix existing concepts to create something new.

 

 

 

 

 

 

 

 

Anna Abraham is the E. Paul Torrance Professor and Director of the Torrance Center for Creativity at the University of Georgia (UGA), USA. She investigates the psychological and neurophysiological mechanisms underlying creativity and other aspects of the human imagination, including the reality-fiction distinction, mental time travel, social and self-referential cognition, aesthetic experience, and mental state reasoning. Her educational and professional training has been within the disciplines of psychology and neuroscience, and she has worked across a diverse range of academic departments and institutions the world over, all of which have informed her cross-cultural and multidisciplinary focus. She is the Founding Editor of the Cambridge Elements in Creativity and Imagination–an academic short book series. She has penned numerous publications including the 2018 book, The Neuroscience of Creativity (Cambridge University Press), and 2020 edited volume, The Cambridge Handbook of the Imagination. Her latest book is The Creative Brain: Myths and Truths (2024, MIT Press).


 

 

 

 

 

 

 

 

Hye-Jung is an Assistant Professor in the People & Organizations department at NEOMA Business School, where she teaches courses in the Programme Grande École (PGE). She holds a BA in Media Arts Production from Emerson College, an MPhil in Education from the University of Cambridge, and a Ph.D. in Business from Singapore Management University. Before transitioning into academia, she gained diverse professional experience across film festivals, film and theatrical productions, and is currently active as a producer for award-winning independent short films. Creativity serves as the common thread weaving together her experiences, from film production to management research. With a deep passion for the intersection of the arts and business, Hye-Jung leverages her expertise in both fields to connect creative talents with business professionals. Her research examines how individuals experience and navigate creativity-related challenges in the workplace, shedding light on the psychological and social dynamics of creativity in organizations. She also develops case studies on managing creativity to translate these insights into practice.


 

 

 

 

 

 

 

 

Sandy Speicher has been driven by one goal throughout her career: creating meaningful systems change. As former CEO of the global design and innovation firm IDEO, she led efforts that redefined industries, transformed how people learn, work, and live, and pioneered solutions to some of the world’s toughest challenges. From reimagining national education systems that empower students to take control of their learning to designing workplaces that foster inclusion and purpose, Sandy’s work has focused on driving progress for people, organizations, and society. She has had the privilege of teaching design to graduate students at Stanford University, undergraduates at Washington University in St. Louis, and 5th graders at Redding Elementary School in San Francisco. Her ideas have been shared in numerous publications, including The New York Times, The Wall Street Journal, Fortune, Harvard Business Review, and at global convenings such as the Aspen Ideas Festival, Clinton Global Initiative, United Nations, and World Economic Forum. Today, Sandy partners with global leaders—businesses and philanthropists alike—who aspire to take bold leaps that drive progress in their communities and countries. She also serves on the boards of Design for Good, Just Capital, and BITS Design School in India. With a deep curiosity for the creativity and wisdom of global cultures, Sandy moves fluidly between ground-level realities and high-level strategies, drawing inspiration from all corners of the world.

 

 

 

 

 

›There’s a certain magic to simply taking time to feel what your body has been trying to tell you for a long time.‹

Most of the time we are trapped in our thoughts, which is logical in our modern world where there is a war for our attention. But we are not just a mind, we also have bodies, feelings and memories and these also need time and attention. Maarten, a former olympic taekwondoka, kickboxer and musician, has been guiding people around the globe for the last decade to reconnect with their physiology, to change habits of thinking and questions unhealthy status quo’s. He’s written a book called #hackingmydepression about a new way of dealing with mental health. His breathwork-coaching education ‘Natural Breathing Movement’ is educating coaches throughout the world to enahnce their skills in helping people (re) discover themselves.